Einblick in die Pflegepraxis in Dänemark und England – Erfahrungen einer Tiroler Pflegeexpertin
Für viele Absolvent:innen der Pflegeausbildung stellt sich die Frage: Wie kann ich meine Kompetenzen weiterentwickeln und über den Tellerrand hinausblicken? Ein Auslandspraktikum bietet hier eine wertvolle Möglichkeit – nicht nur zur fachlichen Weiterbildung, sondern auch zur persönlichen Entwicklung und zum Aufbau internationaler Netzwerke.
Die 30jährige Karin Hinterbuchner hat genau diesen Schritt gewagt und als erste Pflegekraft ein Fellowship bei EACTS erhalten. Nach ihrem Masterstudium der Pflegewissenschaften in Graz startete sie ihre berufliche Laufbahn an den tirol kliniken in Innsbruck auf der Station Herzchirurgie, wo sie neben ihrer Tätigkeit auf der Station auch ein Projekt bei Herz Mobil betreut.
Im Frühjahr 2025 konnte sie im Rahmen eines dreiwöchigen Praktikums Einblicke in die Pflegepraxis in Dänemark und England erhalten. Ihr Ziel: Die Rolle der Advanced Practice Nurses (APN) sowie die perioperative Versorgung herzchirurgischer Patient:innen in den anderen Ländern kennenlernen und verstehen, wie andere Gesundheitssysteme mit den täglichen Herausforderungen in der Pflege umgehen.
Wir haben mit ihr über ihre Erfahrungen und Eindrücke im Ausland gesprochen:
Du bist auf dem Weg zu APN und hast deshalb auch dieses Praktikum gemacht. Kannst du kurz erklären, was APNs eigentlich sind?
APN steht für Advanced Practice Nurse sind spezialisierte Pflegefachpersonen mit erweiterter klinischer, wissenschaftlicher und oft auch leitender Kompetenz. APN wird jedoch je nach Land unterschiedlich definiert, reguliert und umgesetzt. Sie verfügen zumeist über einen Masterabschluss und Zusatzausbildungen für Spezialgebiete.
In Österreich befindet sich diese Entwicklung noch am Anfang, obwohl bereits Ausbildungsprogramme zur APN angeboten werden. Die Rolle der APN wird weitgehend von der jeweiligen Einrichtung definiert, es gibt deshalb noch keinen einheitlichen nationalen Rahmen. Es gibt aber bereits erste APN-Stellen an den tirol kliniken im Bereich der Geriatrie und der Transplantationspflege.
Du warst in London und in Odense in Dänemark – was waren für dich die auffälligsten Unterschiede in der Rolle von Pflegepersonen im Vergleich zu Österreich?
In Ländern wie Dänemark und Großbritannien sind APNs längst etabliert und in vielen Bereichen tätig. Sie haben dort automatisch einen Masterabschluss und verfügen über mehr Autonomie, sie haben Tätigkeitsbereiche mit klar definierten Kompetenzen. Diese sind gesetzlich geregelt und mit Leitlinien in der klinischen Praxis integriert.
Die vielfältigen Aufgaben umfassen zum Beispiel Patientenzuweisungen, die Unterstützung des Pflegepersonals bei klinischen Fragestellungen, die Teilnahme an Visiten sowie die Betreuung der Patient:innen bei Vorsorgeuntersuchungen in der ambulanten Klinik. Zudem sind sie wesentlich in der Patientenaufklärung und bei Nachsorge eingebunden.
Welche konkreten Erfahrungen bringst du aus London mit?
APNs setzen ihre erweiterte Ausbildung gezielt ein, um Patient:innen vor und nach herzchirurgischen Eingriffen fundiert zu informieren und zu betreuen. In Großbritannien dürfen APNs zum Beispiel Medikationen verschreiben, zusammen mit Ärzten bei der Visite mitgehen oder sogar Ultraschall bei den Patient:innen auf den Stationen machen. Spannend war für mich auch zu sehen, dass die APNs in Großbritannien auch für die Koordination der OP-Termine zuständig sind. Sie kontaktieren die Patient:innen auf der Warteliste, um frühzeitig Veränderungen im Gesundheitszustand zu erkennen.
Am St. Thomas Hospital in London hast du eine digitale Wundmanagement-Plattform kennengelernt. Wie funktioniert das System und welche Vorteile bringt es?
Das funktioniert so, dass Patient:innen nach der Operation ihre Wunden zu Hause mit einer App abfotografieren und hochladen. Die APNs können dann im Krankenhaus die Bilder einsehen, die Wunden beurteilen und die Patient:innen direkt eine Nachricht zur weiteren Vorgehensweise schicken. Da sehen sie zum Beispiel, wenn die Wunde leicht gerötet ist, und schicken den Patienten dann zum Hausarzt, um eine Verschlimmerung der Entzündung zu vermeiden. Durch dieses System lassen sich Komplikationen und erneute Krankenhausbesuche leichter vermeiden.

Deine zweite Station war das Universitätsklinikum Odense in Dänemark. Was machen Sie dort anders als beiuns?
Dänemark ist stark auf Primärversorgung ausgerichtet, wodurch APNs eine bedeutende Rolle in der direkten Patientenversorgung und der Schnittstellenkoordination zwischen Hausarzt und Facharzt spielen.
Die Wartezeiten für einen OP-Termin sind dort sehr kurz, und es gibt ein standardisiertes Vorgehen: Zwei Wochen vor der Operation kommen die Patient:innen fast einen ganzen Tag in die Klinik, um umfassend über den Eingriff und die Therapiemaßnahmen aufgeklärt zu werden. Eine Physiotherapeutin zeigt dabei beispielsweise, wie man sich nach der OP richtig bewegt, während die APN für die Schulung zur Medikation und die Besprechung kardiovaskulärer Risikofaktoren etwa Rauchen, Alkohol oder Bewegung zuständig ist. Die Nachbetreuung wird, vergleichbar mit Großbritannien, telefonisch von Pflegepersonen durchgeführt.
Und welche Eindrücke hast du vom Alltag auf den Stationen in dänischen Krankenhäusern?
Auf den Stationen am Universitätsklinikum Odense liegt ein starker Fokus auf interdisziplinärer Zusammenarbeit und präventiver Pflege. Pflegepersonen sind dort intensiv in die Gesundheitsförderung und Patientenberatung eingebunden und genießen einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Jede Station hat zwei APN-Nurses, diese sind fester Bestandteil des interprofessionellen Teams. Außerdem gibt es dort eine eigene Professorin für Pflege im Bereich Kardiologie, die an der Klinik für pflegewissenschaftliche Forschung tätig ist und gezielt Weiterentwicklungen vorantreibt.

Was hat dich bei deinem Auslandsaufenthalt am meisten beeindruckt?
Ich habe einen sehr guten Einblick bekommen von der Rolle der APN. Sie geht weit über eine herkömmliche Berufsbezeichnung hinaus – sie repräsentiert einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel in der Pflegepraxis. Dieser Wandel ist meiner Meinung nach notwendig, um den komplexen Anforderungen des modernen Gesundheitssystems gerecht zu werden. Beeindruckt hat mich die hohe interdisziplinäre Zusammenarbeit und dass viel mehr Forschung im pflegerischen Bereich betrieben wird, als bei uns.
Was nimmst du persönlich aus diesem Praktikum mit?
Seit meiner Rückkehr aus dem Fellowship habe ich Gespräche mit leitendem Pflege- und medizinischem Personal in meinem Krankenhaus initiiert. Inspiriert von den fortschrittlichen Praktiken, die ich im Ausland beobachtet habe, versuche ich dabei Veränderungen anzustoßen. Außerdem nehme ich mit, dass wir eine evidenzbasierte, innovative Praxis verfolgen und Telenursing weiter ausbauen müssen, um die Versorgung der Patient:innen langfristig zu sichern und Ressourcen effizient zu nutzen.
Außerdem arbeite ich derzeit daran, eine Advanced Practice Nurse (APN)-Rolle auf unserer Station einzuführen, mit klar definierten Verantwortlichkeiten und klinischen Aufgaben.
Dieses Praktikum hat mir nicht nur eine erweiterte internationale Perspektive eröffnet, sondern bietet mir nun auch die Gelegenheit, einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der Pflegeforschung sowie des professionellen Profils der Pflege in der Herzchirurgie in Österreich zu leisten. Meine Erfahrungen habe ich zudem auf dem Kongress der European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) in Dänemark präsentiert. Darüber hinaus wurde die Herzchirurgie dort für die wissenschaftlichen Beiträge der Ärzt:innen gleich dreifach ausgezeichnet.

Beim Congress der European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) in Dänemark präsentierte Karin ihre Erfahrungen.

Karin Hinterbuchner (c) alle Fotos privat
Zur Person:
Karin Hinterbuchner hat Pflegewissenschaften an der Medzinischen Universität Graz studiert und arbeitet aktuell als Pflegekraft auf einer der Stationen der Universitätsklinik für Herzchirurgie Innsbruck. Zusätzlich ist sie am Projekt Disease Management Program bei HerzMobil Tirol beteiligt, das auf die Optimierung von Patient:innen mit Herzinsuffizienz vor einer Herzoperation ausgerichtet ist. Sie engagiert sich außerdem bei der European Society of Cardiology in der Arbeitsgruppe ACNAP für Pflegepersonen und MTDG-Berufe und ist auch Stellvertretende Arbeitsgruppenleiterin für Pflege- und MTDG-Berufe in der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft.


