„Orange the World“ – der heutige Tag setzt ein Zeichen gegen Gewalt. Und das international.
Jedes Jahr vom 25. November (Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen) bis zum 10. Dezember macht die globale Kampagne „Orange the World“ auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufmerksam. Viele Organisationen beteiligen sich daran mit dem Ziel, Aufmerksamkeit zu schaffen für eine Problematik, die längst enttabuisiert gehört.
Die Farbe „Orange“ steht für eine gewaltfreie, bessere Zukunft und für Hoffnung. Deshalb erstrahlen ab dem 25. November viele öffentliche Gebäude in orangem Licht, um Solidarität auszudrücken. So auch die beiden Magistralen am Innsbrucker Klinik-Gelände.
Kompetenzzentrum für Gewaltschutz und Gewaltschutzambulanz
26,5 Prozent der Personen, die jedes Jahr in die Innsbrucker Notaufnahmen kommen, sind von häuslicher Gewalt betroffen. Deshalb muss das Krankenhaus Schutz und Hilfe bieten, niederschwellig und sensibel. Die tirol kliniken bieten mit dem „Kompetenzzentrum für Gewaltschutz und Gewaltschutzambulanz“ an der Innsbrucker Klinik professionelle Unterstützung für Betroffene.
Expert:innen aus Medizin, Pflege, Psychologie, Gerichtsmedizin, Sozialarbeit und Administration arbeiten eng zusammen, um administrative, versorgungs- und behandlungsspezifische Belange abzuwickeln. Ein Beispiel ist die Foto-Dokumentation und Koordination der Spurensicherung im Anlassfall.

Tirolweite Schnittstelle
Das Kompetenzzentrum steht allen Krankenhäusern in Tirol unterstützend zur Seite und agiert als Schnittstelle zu Gewaltschutzeinrichtungen, Frauenhäusern und Kinder- und Opferschutzgruppen. In einem eigenen Schulungsprogramm wurden bereits 53 Gewaltschutzbeauftragte ausgebildet, die ihr Wissen im Umgang mit Gewaltbetroffenen weitertragen.
Seit der Eröffnung im März 2024 wurden bereits mehr als 225 Fälle bearbeitet. 225 persönliche Lebensgeschichten. 225 Menschen, die von Gewalt betroffen sind. Aber auch 225 Personen, die mit Hilfe des breiten Netzwerks im Gewaltschutz einen Schritt aus der Gewaltspirale heraus schaffen.
In der April-Ausgabe des tirol kliniken Mitarbeiter:innen-Magazins HOCH³ wurde dazu folgendes Interview mit Andrea Hohenegger, Pflegerin in der Innsbrucker Notfall-Ambulanz, und Eleonora Genelin, Oberärztin an der Neurologie in Hochzirl, veröffentlicht:
DIE GEWALTSCHUTZBEAUFTRAGTEN PERSONEN SIND MULTIPLIKATOR:INNEN, WAS BEDEUTET DAS?
Hohenegger: Die Ausbildung soll Mitarbeiter:innen im Krankenhaus für das Thema Gewalt sensibilisieren. Schulungen und Workshops haben nur eine gewisse Reichweite. Die Idee der Gewaltschutzbeauftragten ist es, Ansprechpersonen in den Teams vor Ort zu haben, Gewaltschutz im Rahmen von Dienstbesprechungen etc. zu thematisieren und das Thema so zu „multiplizieren“. Als Expert:innen sind diese geschulten Personen in ihrem Arbeitsbereich erste Anlaufstelle bei Fragen und Unsicherheiten und gleichzeitig Schnittstelle zum Kompetenzzentrum, das als Koordinationsstelle zwischen allen Netzwerkpartner:innen agiert.
Genelin: Ich bin Gewaltschutzbeauftragte im Krankenhaus Hochzirl. Gleich nach der Ausbildung habe ich zwei Vorträge zum Thema gehalten und meine Funktion erklärt. Das hat einen Effekt – ich bin mehrmals kontaktiert worden, um konkrete Verdachtsmomente zu diskutieren. Man merkt, dass sich das Bewusstsein für das Thema verändert. Wir haben als Gewaltschutzbeauftragte auch zweimal im Jahr ein Austauschtreffen, koordiniert vom Kompetenzzentrum.
WELCHE ROLLE SPIELT GEWALTSCHUTZ IM KRANKENHAUS, WELCHE ROLLE HAT HIER DAS GESUNDHEITSPERSONAL?
Hohenegger: Es geht darum, wie Gewaltbetroffene im Krankenhaus Hilfe bekommen. Und da spreche ich jetzt weniger von der Behandlung konkreter Verletzungen, sondern dass wir aufmerksam für Anzeichen sind, dass wir ins Gespräch kommen. Im ersten Schritt geht es darum, zu vermitteln, dass das Krankenhaus ein Ort ist, wo man Hilfe bekommt.
Genelin: Laut Statistik Austria suchen 20 Prozent der Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, den Erstkontakt für eine Hilfestellung bei Menschen in Gesundheitsberufen. Die Awareness für Gewalt spielt also in unseren Berufen eine sehr große Rolle.
WIE SCHAUEN SOLCHE ANZEICHEN AUS?
Genelin: Wir sprechen hier von sogenannten „red flags“, das sind Verletzungen, die schwer erklärbar sind oder erst spät behandelt werden, chronische Beschwerden, überbehütende Partner, häufige Fehlgeburten oder Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung, aber auch ein unbegründetes aggressives oder schnippisches Verhalten können Anzeichen für Gewalterfahrungen sein.
UND WIE GEHEN SIE AUF BETROFFENE ZU?
Hohenegger: In der Ausbildung vermitteln wir, wie man dann mit dem Gewalt-Verdacht umgehen kann: Betroffene in einem 4-Augen-Gespräch darauf ansprechen und darlegen, welche Hilfsangebote es gibt. Manchen kann man mit einer psychologischen Beratung helfen, andere brauchen einen Frauenhausplatz oder einfach eine Rechtsberatung. Das Kompetenzzentrum ist eine wichtige Schnittstelle zu allen involvierten Institutionen.
UND WENN BETROFFENE GAR KEINE HILFE WOLLEN?
Hohenegger: Klar, es kann frustrierend sein, wenn eine Patientin immer wieder kommt. Aber im wiederkehrenden Kontakt kann sich Vertrauen aufbauen. Ein zentraler Punkt im Gewaltschutz ist das Verständnis für Gewaltopfer und das Hintergrundwissen, wie Gewaltstrukturen funktionieren. Wir üben jedenfalls keinen Druck aus, bei erwachsenen Gewaltopfern braucht es auch in den meisten Fällen die Zustimmung für eine Anzeige oder Intervention.
Genelin: In der Ausbildung zur Gewaltschutzbeauftragten erzählt eine betroffene Frau von ihren Erfahrungen und wie schwer Veränderungen sind. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich erinnere mich auch oft an eine Patientin aus meiner Turnuszeit. Ich hatte eine starke Vermutung, dass sie geschlagen wurde, meine Nachfragen dazu hat sie aber immer verneint. Ich muss oft an diese Patientin denken, denn heute würde ich sie weniger bedrängen, eine Gewalterfahrung zuzugeben, sondern ihr stärker vermitteln, dass sie im Krankenhaus jederzeit Hilfe bekommt – auch ohne akute Verletzung.
WAS SOLL DIESES NETZWERK DER GEWALTSCHUTZBEAUFTRAGTEN LANGFRISTIG BEWIRKEN?
Hohenegger: Gewalt früher erkennen und auch ganz klar benennen. Das Gefühl, dass bei einem Unfallhergang etwas nicht stimmen kann, kennen vermutlich viele in Gesundheitsberufen. Die Ausbildung gibt konkrete Tools und Handlungsanleitungen mit, wie man reagieren und auch agieren kann.
Genelin: Es geht um ein Bewusstsein für das Thema und die entsprechenden Strukturen zur Prävention. Für mich steht auch die Teamarbeit im Fokus: gerade die Kolleginnen und Kollegen aus Pflege- und Therapie-Berufen sind oft viel enger im Kontakt mit Patientinnen und Patienten. Mit der Funktion der Gewaltschutzbeauftragten gibt es für alle eine konkrete Anlaufstelle, um sich gut abzustimmen und auszutauschen.

Kontakt:
Kompetenzzentrum Gewaltschutz und Gewaltschutzambulanz
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag zwischen 08:00 – 16:30 Uhr
Telefon: 050 504 – 24024
lki.gewaltschutz@tirol-kliniken.at


