Das Patientenwohl steht für Behandlerinnen und Behandler an erster Stelle. Aber nicht immer ist es einfach zu erkennen, was dem Wohl am besten dient. Das Beispiel eines 13-jährigen Patienten, der mit männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurde, zeigt: Manchmal gibt es kein Schwarz oder Weiß, kein eindeutiges Richtig oder Falsch. Oft bewegt man sich im Graubereich.

Wie das Klinische Ethikkomitee an der Innsbrucker Klinik in besonders fordernden Situationen unterstützen kann, schildert uns Jürgen Brunner, leitender Oberarzt der Pädiatrie.

Seit 2008 engagiert sich Jürgen Brunner für die Medizinethik am Landeskrankenhaus Innsbruck.

Medizinethik im Krankenhaus

Die Medizinethik beschäftigt sich mit moralischen Wertvorstellungen im Gesundheitswesen. Für die tirol kliniken als Westösterreichs größtem Gesundheitsdienstleister stellen komplexe Fragestellungen ein zentrales Thema im Krankenhausalltag dar.

Seit 2018 gibt es das Klinische Ethikkomitee an der Innsbrucker Klinik. Das rund 20-köpfige Team setzt sich aus Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachbereiche zusammen: von Seelsorge und Theologie über Pflege und Medizin bis hin zu Volkswirtschaftslehre, Rechtswissenschaften und Philosophie. Gemeinsames Ziel ist es, als neutrale Instanz zu beraten, wenn durch unklare medizinische Prognosen, religiöse Aspekte oder individuelle Familienverhältnisse besonders komplexe Entscheidungsprozesse entstehen.

Fordern Behandler:innen Unterstützung beim Klinischen Ethikkomitee an, findet innerhalb von zwei Arbeitstagen ein Konsil als Beratung vor Ort statt. Aktuell ist das meist ein- bis zweimal pro Monat der Fall. Reichen zwei Konsile nicht aus, wird die Fragestellung im monatlichen Treffen des gesamten Komitees bearbeitet.

Die richtigen Fragen stellen

Eine 50-jährige Patientin mit schwer heilender Wunde am Bein sieht als einzigen Ausweg die Amputation, obwohl das Behandlungsteam am Heilungsprozess arbeitet. Ein anderer Patient mit komplexer Grunderkrankung soll Herz und Niere als Spenderorgane erhalten. So individuell die Einzelfälle zu betrachten sind, so weitreichend sind die Fragen im Klinischen Ethikkomitee: Was ist medizinisch sinnvoll, was moralisch vertretbar? Was wünschen sich Patientinnen und Patienten, was Angehörige? Wann finden irreversible Eingriffe statt und wer trifft End-of-Life-Entscheidungen?

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht Unterstützung bei komplexen Entscheidungsprozessen.

„Es geht nicht darum, Recht zu haben“, schildert Jürgen Brunner die Verantwortung des Klinischen Ethikkomitees, „es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen, zuzuhören und aufgrund von Datenlage und Erkenntnis profunde Statements abzugeben.“ Nicht immer ist es einfach, Empfehlungen zu formulieren, doch die Grundsätze der Medizinethik geben Orientierung:

  • Prinzip der Fürsorge
  • Prinzip der Schadensvermeidung
  • Prinzip der Gerechtigkeit
  • Prinzip der Autonomie

„Persönliche Befindlichkeiten haben im Ethikkomitee keinen Platz.“, schildert Jürgen Brunner. „Man darf sich nicht vor unangenehmen Fragen scheuen. Ab und zu prallen Meinungen aufeinander und die Diskussion zwingt einen, über den Tellerrand zu blicken. Doch nur so erlangen wir fundierte Erkenntnisse und können diese auch wissenschaftlich belegen.“

Am Ende eines Konsils wird ein Protokoll mit medizinethischen Empfehlungen in die Krankenakte eingespielt. Die Entscheidung trifft aber immer das Behandlungsteam. „Durch die Arbeit des Klinischen Ethikkomitees lässt sich die Last einer schweren Entscheidung auf mehrere Schultern verteilen“, so Jürgen Brunner, „und das Schöne daran ist: Oft enden die Geschichten erfreulicher, als anfangs angenommen!“

 

 

 

 

 

Bildnachweis: Gerhard Berger