Das Wort Ergotherapie kommt aus dem Altgriechischen und hat schon in der Bedeutung das Wort Werk und Arbeit immanent. Die Ergotherapie entstand als eigenständige Therapieform bereits Anfang des 20. Jahrhunderts und trotzdem ist sie vielen Menschen noch nicht sehr geläufig. Noch weniger bekannt ist, was Ergotherapie eigentlich bewirken kann. Dazu haben wir als Expertin die Ergotherapeutin Julia Juric, BSc befragt.

Was ist Ergotherapie? Was ist das Ziel der Ergotherapie?

Ergotherapeutin, Julia Juric, BSc

Die Ergotherapie hat zum höchsten Ziel die größtmögliche Selbständigkeit im Alltag.

Das kann je nach Diagnose der/des Patient:in ein ganz unterschiedliches Ziel sein. Zum Beispiel können für Patient:innen nach einem Schlaganfall das eigenständige Anziehen, Einkaufen gehen, Autofahren oder selbständig mit Besteck essen ein Schritt zur Wiedererlangung des Alltags sein. Bei Kindern mit einer Entwicklungsverzögerung kann es die korrekte Haltung des Stiftes, die Wahrnehmung oder die Konzentration sein. Bei Patient:innen mit einer psychischen Erkrankung kann die Ergotherapie bei der (Wieder-) Herstellung von Teilhabe am sozialen Leben, zur Förderung der Selbstfürsorge oder Freizeitgestaltung unterstützen. Auch für Long Covid Patient:innen kann die Ergotherapie eine geeignete Behandlung sein.

Für uns ist es auch sehr wichtig, was die Patient:innen selbst für Ziele haben. Im Anamnesegespräch fragen wir was sie (wieder) erlernen möchten bzw. wo der Leidensdruck liegt. Bei Kindern fragen wir zusätzlich auch die Eltern und Pädagog:innen. Das ist dann so zu sagen unser Leitfaden in den Therapien.

Gibt es hier ein Hand in Hand mit der Physiotherapie bzw. wo ist der Unterschied?

Natürlich gibt es ein Hand in Hand. An der Innsbrucker Univ.-Klinik gibt es sogar Therapiestunden mit Patient:innen, in denen beide Berufsgruppen gleichzeitig mit und an dem Patienten/der Patientin arbeiten. Diese Kombination ist unglaublich hilfreich für alle, sowohl für die Professionisten als auch die Patient:innen. Es gibt aber auch ganz klare Unterschiede. Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass die Physiotherapie als Ziel die Wiederherstellung der Funktionalität hat, während die Ergotherapie den Fokus auf die Handlung legt. Wir Ergotherapeut:innen helfen auch den Wohnraum sowie den Arbeitsplatz Ergonomie gerecht anzupassen oder beraten bei Hilfsmittel, die den Alltag erleichtern können. Außerdem sind wir im orthopädischen Bereich spezialisiert auf Verletzungen der Hand und oberen Extremität

Gibt es Altersgruppen, die besonders oft vertreten sind bei der Ergotherapie?

Nein, gar nicht. Babies und Kleinkinder sind oft bei Verdacht auf verzögerter Entwicklung bei uns vorstellig. Schulkinder bei Problemen, die im Schulalltag auftreten, Erwachsene nach Unfällen oder Erkrankungen und ältere Menschen zum Beispiel bei der Diagnose Demenz. Genauso gehören Kinder und Erwachsene mit psychischen Erkrankungen zu unseren Patient:innen.

Stichwort: Entwicklungsverzögerung oder Probleme. Gibt es einen Hinweis, wann Eltern unbedingt mit ihren Kindern zur Ergotherapie gehen sollten?

Bei Babies und Kleinkindern gelten als Richtwerte die Meilensteine der Entwicklung. Wenn diese zeitlich wirklich markant überschritten werden, dann ist es sicher sinnvoll, zu einer/einem Expert:in zu gehen. Aber in der Praxis bemerken wir Ergotherapeut:innen viel Unsicherheit unter den Eltern. Der Druck des Vergleichs mit anderen Kindern ist groß und häufig können wir beruhigen und die Zeit für das Kind arbeiten lassen. Aber wenn der Leidensdruck zu groß wird – das gilt für alle Altersgruppen – dann gilt: lieber einmal zu oft um Rat fragen, als einmal zu wenig.

Wie wird man Ergotherapeutin / Ergotherapeut?

Es gibt an der FH Gesundheit Tirol einen eigenen Studiengang im Bachelor und im Master, der zur Ergotherapie ausbildet. Es ist ein Vollzeit Studium und dauert 6 Semester. Da Studium beginnt jeweils im Herbst. Anmeldefristen findet man auf den Webseiten.

https://www.fhg-tirol.ac.at/page.cfm?vpath=studium/bachelor/ergotherapie

https://www.fhg-tirol.ac.at/page.cfm?vpath=studium/master/ergotherapie-und-handlungswissenschaft

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Fotos: Gerhard Berger (Titelfoto und Hände), Mag.a Antonia Werner (Portrait),Magdalena Schlögl, BSc, MSc (Foto mit Kind)