Dr. Achim Herms, Leiter der Neuro-Urologischen Ambulanz an der Innsbrucker Klinik

Wenn die Unterwäsche nach der Joggingrunde gewechselt werden muss, die längere Autofahrt zur Qual wird, beim Husten ein paar Tröpfchen auch nach unten abgehen, dann handelt es sich wahrscheinlich um eine Inkontinenz. Dieses Thema spricht niemand gerne an, trotzdem kann es ab der Kindheit bis zum hohen Alter ein Thema sein.

Dr. Achim Herms, Leiter der Neuro-Urologischen Ambulanz an der Klinik Innsbruck klärt im aktuellen Blogbeitrag über Formen, Ursachen und Therapiemöglichkeiten auf.

 

Arten der Inkontinenz

Die Medizin unterscheidet zwei Hauptformen: die Dranginkontinenz und die Belastungsinkontinenz. Bei der Belastungsinkontinenz hält der Schließmuskel der Blase nicht dicht, wenn betroffene Personen schwere Lasten aufheben und tragen, laufen, husten oder springen. Sonderformen sind zum Beispiel die „Überlauf-Inkontinenz“, wenn die Blase bei einem Harnverhalt übervoll ist oder die“ Giggle-Inkontinenz“ (Kicher-Inkontinenz), welche ausschließlich beim Kichern oder Lachen vorkommt. Die letztere wird häufig kleinen Mädchen zugeordnet.
Die Dranginkontinenz zeigt sich durch einen unwillkürlichen Harnverlust bei Dranggefühl, mitunter auch bei einer recht geringen Blasenfüllung. Eine gesunde Harnblase kann je nach Alter ca. 300 bis 450 ml Harn fassen.

 

Ursachen

Eine Inkontinenz kann aus sehr vielen verschiedenen Gründen auftreten: Begünstigend sind Geburtstraumen, aber auch angeborene Fehlbildungen, neurologische und urologische Erkrankungen oder psychische Belastungszustände. Operationen und Infekte können ebenso eine Inkontinenz verursachen. Manchmal kann ein erhöhter Drang – auch ohne eine Inkontinenz – durch schlechte Angewohnheiten entstehen. „Hi und da muss man hinterfragen, ob es sich tatsächlich um echte Drangzustände handelt“, so Herms. Eine Person, die 6 Liter am Tag trinkt, muss natürlich häufiger die Blase entleeren.

 

Behandlungsmöglichkeiten

Im Allgemeinen sind zu Beginn einer Behandlung eine Physiotherapie und verhaltenstherapeutische Maßnahmen zu empfehlen. Ein Training des Beckenbodens ist in jedem Fall sinnvoll und sehr oft zielführend. Aber auch wenn die Notwendigkeit einer Operation absehbar ist, kann dieses Training vorbereitend den Erfolg des Eingriffs günstig beeinflussen. Bei manchen Ursachen helfen Medikamente sehr gut. Ob und welche, muss das ärztliche Personal entscheiden.

Im Beratungsgespräch sollten die Erwartungen der Patient:innen und der voraussichtliche Therapieerfolg seitens der Ärzt:innen realistisch dargestellt und gegeneinander abgewogen werden.

Das Behandlungsziel hängt vor allem vom Grad der Belastung der betroffenen Person ab. „Es gibt Patientinnen und Patienten, die mit ein paar durchnässten Einlagen am Tag wunderbar leben können – andere verzweifeln, wenn sie beim Joggen eine Slip Einlage verwenden müssen“, erklärt der Experte. Können die Betroffenen gut mit der Situation umgehen, gibt es nicht zwingend eine Notwendigkeit der Behandlung.

Im Falle von neuro-urologischen Ursachen, wie zum Beispiel bei einer Querschnitt-Verletzung oder angeborenen Fehlbildungen, ist eine regelmäßige Kontrolle der Harnblase und der Nieren unumgänglich. Unbemerkt kommt es im schlimmsten Fall zu einem Rückstau des Harns in die Nieren und in weiterer Folge zu einem Nierenversagen.

Ein kurzfristig aufgetretener und zunehmender Harndrang, aber auch Blut im Harn muss immer so schnell wie möglich abgeklärt werden, auch wenn man sich dadurch nicht beeinträchtigt fühlt, betont Herms. Solchen Ereignissen können auch schwerwiegendere Erkrankungen wie Tumore zugrunde liegen.

 

Allgemeine Maßnahmen

Im Allgemeinen sollte auf einen regelmäßigen Gang zur Toilette geachtet werden. Dazu gehört auch eine vollständige Stuhlentleerung.
Häufige gezielte Unterbrechungen des Harnstrahls und langes Einhalten (umgangssprachlich: Verhalten) sind zur Vorbeugung nicht geeignet und auf Dauer schlecht für die Blase. Man sollte aufs WC gehen, sobald der Drang zu spüren ist. Nicht früher, aber auch nicht viel später. Die gewohnheitsmäßige Unterbrechung des Harnstrahls kann langfristig zu einer Blasenentleerungsstörung führen, in Extremfällen auch zu akutem vollständigem Harnverhalten. Das Bild der Gewebsstruktur einer Blase, die akut überdehnt wurde, zeigt, wie sehr die Harnblase in solchen Fällen in Mitleidenschaft gezogen werden kann.

Gewebsstruktur einer gesunden Blase
Gewebsstruktur einer Blase, die akut überdehnt wurde

Beratung und Informationen

Betroffene und deren Angehörige finden Beratung und Hilfe im Kontinenz- und Beckenbodenzentrum Innsbruck der Klinik Innsbruck:

Eine Hotline ist täglich von 12:00 bis 13:00 Uhr erreichbar: 050504 22622

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Bildnachweis:

Portrait: Robert Schober
normale und überlastete Blase: Ann Anat 186 (2004): 55-59 ; Morphological analysis of the acute effects of overdistension on the extracellular matrix of the rat urinary bladder wall; Graciela M. P. de Souza, Waldemar S. Costa, Homero Bruschini, and Francisco J. B. Sampaio
alle anderen Fotos: AdobeStock